Liebe Schwestern und Brüder im Glauben an den Einen Gott!
Nowa Huta ist ein Stadtteil von Krakau in Südostpolen. Viel Schönes kann der Besucher dort nicht sehen. Über viele Kilometer fährt man auf der zentralen Straße an Wohnblocks vorbei. Erbaut wurden sie ab 1949 im Stil des sozialistischen Klassizismus. Grau in Grau die Häuserfronten. Der Arbeiterstadtteil zählt 220.000 Einwohner mit einem riesigen Eisenhütten-Kombinat. Früher bot Nowa Huta jedem Bürger einen Arbeitsplatz.
In Polen spielt bekanntlich die Kirche bis heute eine sehr große Rolle im Leben der Gläubigen. In der Nachkriegszeit wollten die Katholiken eine eigene Kirche haben, sozusagen als Symbol gegen die Sintflut des totalitaristischen Systems der Volksrepublik Polen.
Nach langen Verhandlungen und Kämpfen wurde zwischen 1967 und 1977 die Kirche der Mutter Gottes der Königin von Polen gebaut. Noch immer ist diese Kirche ein Wahrzeichen der Gläubigen gegen den Nihilismus und Glaubensverlust der Menschen. Die Kirche ist ein Mahnmal.
Das allein reicht schon, um die Bedeutung des architektonischen Bauwerks hervorzuheben.
Doch im Innenraum der Hauptkirche hängt eine acht Meter große Christus-Figur.
Sie überragt alles.
Der Oberkörper des Gekreuzigten ist weit nach vorne gewölbt und die Arme sind nach hinten gedehnt, als würde er sich mit aller Kraft gegen etwas stemmen. Als stürme er voran.
Die Haltung der Figur erinnert mich an 100-Meter-Sprinter, die sich kurz vor dem Ziel weit nach vorne dehnen, um als erste durch das Ziel zu kommen.
Hat Jesus Christus sein Ziel erreicht?
Ich denke, er ist noch unterwegs und sucht Menschen, die er heute in seine Nachfolge rufen kann.
Als ich die Kirche an jenem frühen Vormittag verließ, drängten viele Menschen ins Gotteshaus. Hier ist Jesus noch willkommen. Ich lauschte den Stimmen, die offensichtlich den Rosenkranz beteten. Es waren aber nicht nur ältere Menschen, die mit großer Hingabe beteten und zwischendurch sangen, sondern auch eine ganze Reihe von Jugendlichen.
War es ihnen ein Bedürfnis zu beten? Ganz bestimmt sogar. Vielleicht wollten sie den Tag mit einem Gottesdienst beginnen, weil sie dieses Ritual liebten. Wo auch immer ich in Polen eine Kirche aufsuchte, sah man Scharen von jungen Menschen, die betend und meditierend in den Bänken saßen. Man könnte neidisch werden.
Fest steht: In Polen werden auch in Zukunft die jungen Gläubigen eine große Rolle spielen.
Jesus und der Glauben an ihn sind präsent – überall im Lande. Das gibt ein gutes Gefühl. Und gibt Hoffnung. Die Christus-Figur stemmt sich gegen den Zeitgeist und alle Anfechtungen des Glaubens. Bis auf den heutigen Tag.
Ein solcher Christus würde auch uns gut tun. Denn wir brauchen ihn dringend. Doch dafür müssen wir auch etwas tun.
Bitten wir ihn gerade jetzt in der beginnenden Adventszeit uns nahe zu sein.
Wir dürfen ihn einladen und dann empfangen: mit Gebeten und Liedern und im gemeinsamen Feiern unserer Gottesdienste. Besonders in den Rorate-Messen, die jetzt wieder angeboten werden!
Ihnen allen wünsche ich eine gesegnete Adventszeit!
Ihr
Dr. Harald Müller-Baußmann, diac.